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Als der und jener scheint zwar jeder schon da. Aber keiner ist, was er meint, erst recht nicht, was er darstellt. Und zwar sind alle nicht zu wenig, sondern zuviel von Haus aus für das, was sie wurden. Später gewöhnen sie sich an die Haut, in der sie nicht nur stecken, sondern in die man sie auch noch gesteckt hat, beruflich oder wie sonst. Aber da fand einmal ein Bursch, weit von hier, einen Spiegel, kannte so etwas noch gar nicht. Er hob das Glas auf, sah es an und gab es seinem Freund: "ich wusste nicht, dass das dir gehört." Dem andern gehörte das Gesicht auch nicht, obwohl es ganz hübsch war.
Ernst Bloch, >Weitergeben<, in: Spuren, Berlin 1930, zweite Ausgabe Frankfurt/M 1959, hier: neue, erw. Ausgabe Frankfurt/M 1969, S. 35
Maskerade
Robert Walsers Prosa-Stücklein dieses Titels, März 1927 in der 'Prager Presse'. Vorne und hinten heißt es dort (nach der Kossodo-Ausgabe, 1968, IX, 37f u. 40):
In den Arkaden, die unsere Stadt zieren, wandelten Jünglinge, die sich wie italienische Nobili betrugen. Die Landschaft lag still wie ein unausrottbarer Gott. Ich ging eine Weile als alte Frau. Indem ich die Gebrechlichkeit meisterhaft nachahmte, zog ich von Zeit zu Zeit eine Flasche aus dem Gewand hervor [...] Draußen im Land tanzten Mädchen nach den Tönen, die ein Familienvater einer Handharfe entlockte. Die Töne gestanden irgendetwas zu und schienen über das Zugestehen glücklich. |[...] |
Täglich finde ich neue Lehren, aber ich nahm mir, gleichsam im Gleichgewichtsinstinkt, vor, mich nicht zu sehr mit ihnen zu beschäftigen. Hügel und Wälder und die mit Menschen belebten Straßen wünschen, dass ich vor allen Dingen munter sei.
Auch keiner hört sich so, wie er spricht. Das eigene Ohr, der Schädel klingen ihm mit. Draußen, außerhalb des Schädels, hören sich darum unsere Laute recht anders an. Vernimmt man die eigene Stimme von draußen kommend, auf einer [Schall]Platte, gespiegelt, dann tönt sie fremd. Unser Jetzt ist nicht darin, kaum einem Freund scheint sie zu gehören.
Erst recht sieht sich keiner so, wie ihn die anderen kennen. Auch nicht im Spiegel, obwohl jeder weiß, dass sein Äußeres hier zurückblickt. Sobald aber dies Wissen wegfällt, geschieht die sonderbarste Verwirrung, bei Eitlen wie bei den wenigen, die es nicht sind. [Ernst] Mach berichtet einmal von diesem Erlebnis: er nimmt in einem Hotelwagen Platz, auf der vorderen Bank tut ein Gast das gleiche, erster Eindruck: was steigt für ein herabgekommener Landschuldmeister ein? – es war aber Mach selber im Spiegel. Vor seinem Äußeren war er höchst kurzsichtig […]. Würde die eigene Stimme, als unbekannt, auf dem Fundbüro abgegeben werden, so wird das eigene Bild, als unerwünscht, im Falle Machs beschimpft. Es erscheint |14| ähnlich, doch einem andern, es kommt rechtzeitig an, doch, wie ein Dummkopf, am falschen Ort.
Ernst Bloch, >Selbstportrait ohne Spiegel<, in: Verfremdungen I, Frankfurt/M 1962, 14. bis 17. Tausend 1970, S. 13-17, hier: S. 13f
Die Weise von Changgan | Changgan xing (726/27, übersetzt/übertragen von Wolfgang Kubin)
Kaum deckte das Haar mir die Stirn,
da pflückte ich Blumen zum Spiel vor der Tür.
Der junge Herr ritt auf einer Bambusstange daher,
vergnügte sich mit grünen Pflaumen rund um das Lager.
so jung trieb uns beide kein Arg.
Im vierzehnten Jahr freite mich der Herr,
ich barg das Gesicht beschämt.
Ich senkte den Blick zur dunklen Wand,
er rief vielmals, ich sah mich keinmal um.
Im fünfzehnten Jahr weitete ich die Brauen,
begehrte, mit ihm Staub zu sein und Asche zu werden.
Stets hielt er zu mir, als umarmte er einen Pfeiler,
keine Not, den Mann hoch auf der Warte zu erwarten.
Im sechzehnten Jahr zog es den Herrn in die Ferne,
zum Riff einer Jangtse-Schlucht.
Im fünften Mond weiche er da bloß den Wogen,
wenn die Affen gen Himmel klagen.
Vor der Tür die alten Spuren unseres Weilens,
eine um die andere überwachsen, grün vom Moos.
Die Farne so dicht, unmöglich sie zu fegen,
es fallen die Blätter im Herbstwind früh.
Achter Mond, da nahen die Schmetterlinge,
paarweise gleiten sie über die Fluren im Westen.
Weh tut mir das empfindsame Herz,
vor Kummer altert das junge Gesicht.
Ob morgens, ob abends gen Osten zurück,
berichte er mir in einem Schreiben zuvor.
Nicht sage ich, es sei ihm entgegen zu weit,
ich ginge direkt zu ihm die zweihundert Meilen.
Die Erde mein Kissen, der Himmel meine Decke
Li Bai. Klassische chinesische Dichter. Wolfgang Kubin, Bacopa Verlag, Schiedlberg/Austria 2024, 115-17.
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Lautgedicht
ICH
ICH ICH
ICH ICH ICH
ICH ICHE DU ICHST
WÆWÆWÆ
WIA WIA
WÆAWÆA WI'A! ...
so oder so ähnlich lautet dieses Gedicht